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Idomeni: Männer, Frauen und Kinder, die nichts mehr haben

Die 19-jährige Abiturientin Joanna Wolf engagiert sich für Flüchtlinge und hilft dort, wo die Not oft am größten ist. Zur Zeit ist sie im Flüchtlingslager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Ich bin seit zehn Tagen in Idomeni und ich erlebe Furchtbares hier. Am schlimmsten war der Tag vorgestern, als so viele Menschen aus dem Camp aufbrachen, um die Grenze zu erreichen. Aufgeschreckt von einem Flugblatt, das übrigens nicht von deutschen Aktivisten oder Helfern verteilt wurde. Wir wissen nicht, wo es herkam.
Aber als so viele Menschen sich auf diesen stundenlangen Marsch machten, mit ihren kleinen Kindern, mit Kranken im Rollstuhl, mit schwangeren Frauen, da sind wir als humanitäre Helfer mitgegangen, um mit aufzupassen, dass die verzweifelten Menschen nicht im Fluss ertrinken. Wir haben ein blaues Seil über den Fluss gespannt. Wir haben niemanden ermutigt, sich auf den Weg zu machen, die Menschen haben diesen Weg gewählt, und wir haben sie begleitet, um die Grundversorgung wenigstens ein bisschen sicherzustellen. Es gab so viele furchtbare Ausnahmesituationen. Zum Beispiel, als statt zwei plötzlich dreißig, vierzig Militärs um uns herum auftauchten, uns einkesselten mit ihren riesigen Gewehren. Man versucht, Witze darüber zu machen, dass sie vielleicht mehr Angst vor uns haben als wir vor ihnen, aber den hysterischen Unterton bekommt man eben doch nicht aus der Stimme heraus. Und man gewöhnt sich beängstigend schnell an die Szenerie. Links das weinende Baby, dahinter der Mann mit dem großen Gewehr, etwas weiter rechts der Hund mit dem Maulkorb und daneben der Mann im Rollstuhl. Dazwischen immer mehr kleine Lagerfeuer mit Familien drumherum. Menschen, die einen besorgt fragen, was wohl passieren wird, und denen man keine Antwort geben kann, weil man genauso ratlos ist wie sie. Und trotzdem laden sie uns ein, mit ihnen am Feuer zu stehen und teilen das wenige Essen, das sie haben, mit uns. Obwohl sie genau wissen, dass wir irgendwann wieder in unsere Häuser mit unseren vollen Kühlschränken gehen werden. Aber für ein paar kurze Momente sind wir alle gleich.